Dora Bruder by Patrick Modiano

Dora Bruder by Patrick Modiano

Autor:Patrick Modiano [Modiano, Patrick]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2014-11-23T05:00:00+00:00


Ernest Bruder wurde am 19. März 1942 verhaftet, oder, genauer gesagt, er wurde an diesem Tag ins Lager Drancy eingewiesen. Über die Gründe und näheren Umstände dieser Verhaftung habe ich keinerlei Spur gefunden. Auf der sogenannten »Familienkartei«, die von der Polizeipräfektur benutzt wurde und auf der für jeden Juden verschiedene Angaben gesammelt waren, ist folgendes vermerkt:

»Bruder Ernest

21.5.99 – Wien

Judenakte Nr.: 49091

Beruf: Ohne

Kriegsversehrter zu 100%. Schütze, französischer Legionär, Gasvergiftung; Lungentuberkulose.

Zentralregister E56404«

Weiter unten auf der Karteikarte steht ein gestempelter Eintrag: »Gesucht«, dahinter die Bleistiftnotiz: »Befindet sich im Lager Drancy.«

Ernest Bruder hätte als »ex-österreichischer« Jude bei der Razzia vom August 1941 verhaftet werden können, in deren Verlauf französische Polizisten, die deutschem Militär unterstellt waren, am 20. August das elfte Arrondissement absperrten und dann während der folgenden Tage die ausländischen Juden in den Straßen der anderen Arrondissements überprüften, darunter auch im achtzehnten. Wie ist er dieser Razzia entgangen? Dank seiner Stellung als ehemaliger französischer Legionär und Schütze? Das bezweifle ich.

Seine Karteikarte gibt an, daß er »gesucht« wurde. Aber seit wann? Und aus welchem genauen Grund? Wenn er bereits am 27. Dezember 1941 »gesucht« worden wäre, also an jenem Tag, als er Doras Verschwinden auf dem Revier von Clignancourt meldete, dann hätten ihn die Polizisten nicht wieder fortgehen lassen. Hat er an diesem Tag die Aufmerksamkeit auf sich gelenkt?

Ein Vater versucht, seine Tochter wiederzufinden, meldet ihr Verschwinden auf einem Revier, und in einer Abendzeitung wird eine Suchanzeige veröffentlicht. Dieser Vater jedoch wird selbst »gesucht«. Eltern verlieren die Spuren ihres Kindes, und einer von ihnen verschwindet seinerseits, an einem 19. März, als würde der Winter jenes Jahres die Leute voneinander trennen, ihre Wege so weit verwirren und auslöschen, daß ihre Existenz selbst zweifelhaft wird. Und es gibt keinen Ausweg. Jene, die den Auftrag haben, einen zu suchen und zu finden, legen Karteikarten an, um einen anschließend besser verschwinden zu lassen – endgültig.



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